Thesen über das Ende der Welt
Hernán D. Caro
Der alte Traum der Apokalypse spielt das Spiel des Traums des Fortschritts: beide bestehen in der Illusion einer Geschichte, die sich wie ein Pfeil durch die Zeiten bewegt, vom Anbeginn der Welt bis hin zum Endpunkt, zu ihrer Vollendung (dem „Jüngsten Gericht“, dem „Ende der Geschichte“, „The Happening“). Und was, wenn nichts endet? Oder wenn sich der Untergang bereits ereignet hat? Wenn er immer wieder geschah und das Ende erst der Anfang ist?
Die Apokalypse und die Dystopien, von der wir in düsteren Erzählungen, Schreckensbildern und spektakulären Szenen phantasieren, sind ein Produkt des Marktes. Genau desselben Marktes, dessen heutige absolute Entfesselung die Bedingungen für die Apokalypse und sonstige Dystopien an erster Stelle erzeugt hat.
Die Angst vor – oder die Besessenheit mit – dem Ende der Welt und sämtlichen „dystopischen Ordnungen“ ist im Grunde ein kleinbürgerlicher, spießiger Luxus. Wir erleben ihn vor unseren flickernden Bildschirmen, mit vollen Bäuchen und vollen Kühlschränken. Diejenigen, die dem Ende ihrer Welt erlagen oder dabei sind, es zu tun, die bereits in Dystopien – zeitgenössischen Kolonien, Flüchtlingscamps, sterbenden Regenwäldern – jeden Tag aufwachen, haben keine Zeit für Sci-Fi-Szenarien, so wie jemand, der in einem stürzenden Flugzeug sitzt, sich womöglich nicht fragt, wie der Aufprall klingen oder wie hell die Explosion wohl leuchten wird.
Auch in dem Teil der Natur, den wir uns als „irrational“ vorstellen, scheint jenes vorzukommen, das wir Menschen „das Böse“ nennen: Affen, die einander erbarmungslos töten; Pilze, die sich der Körper lebender Ameisen bemächtigen, sie kolonisieren, kontrollieren und schließlich zerstören, um weiter zu gedeihen… Aber wie viele Organismen bringen sich, wie wir Menschen es tun, freiwillig um? Lukas und Matthäus erzählen von einer Herde Säue, die „einen Abhang hinunter in einen See stürmte und ersoff“. Doch diese Säue waren von Dämonen besessen. Welche sind die Dämonen, die uns dazu zwingen, uns selbst auszurotten?
Die Worte eines Bankers: „Etwa die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ist von der Natur abhängig. / Unsere Ozeane sind gefährdet. / Eine Veränderung ist erforderlich. / Deswegen treten wir als als Mitglied der XXX-Allianz bei, mit dem Ziel, Investition in Meeres- und Küstenökosysteme anzuspornen. / Wir müssen die Anpassungsfähigkeit unseres Planeten aufbauen. / Um in Zukunft produktive Ozeane zu haben“. Wo könnte man eine derart perverse Mischung von Naivität, Hochmut vor dem Leben selbst und humanistischer Ruchlosigkeit in einem einzigen Absatz vereinigt finden?
Wo ist das Handbuch der Postapokalypse, das unseren Hinterbliebenen helfen könnte, zu verstehen, was geschehen ist – und einen Neuaufbau zu versuchen? Aber bei näherer Betrachtung: wäre so ein Handbuch überhaupt wünschenswert?
James Lovelock: „Es hat womöglich vor 100.000 Jahren begonnen, als wir zum ersten Mal Wälder in Brand setzten als fauler Weg zum Jagen. Wir haben aufgehört, einfach noch ein Tier zu sein und damit begonnen, die Erde zu vernichten.“
Dies war die Sünde des Prometheus: der Raub des göttlichen Feuers, das den Weg zur menschlichen „Zivilisation“ ebnete. Dafür ließen ihn die Götter an einer Säule anketten und sendeten einen Adler, der jeden Tag Prometheus’ Leber frisst, die sich aber nachts wiederum erneuert. Es war eine zu milde Strafe.
Die Selbstsucht, die unsere ängstliche Sehnsucht nach dem Ende aller Enden füttert (in Wahrheit fürchtet niemand den Untergang der Spezies, sondern den eigenen), ist dieselbe, die uns dazu führt, bereits jetzt das nächste Flugticket zu kaufen, die nächste Reise zu planen, den nächsten Strand mit unserem Auftreten besudeln zu wollen.
Angesichts des drohenden Zusammenbruchs unserer sogenannten „Zivilisation“: Welche ist unsere Verpflichtung gegenüber den kommenden Generationen? Pessimisten zu sein? Das Weltende weiterhin zu prophezeien – damit sich diese Prophezeiung nicht realisiert (nach Deborah Danowski und Eduardo Viveiros de Castro)? Oder sind wir verpflichtet, Optimisten zu sein (wie Bruno Latour es möchte), weiter zu leben, säen und „kämpfen“ – was auch immer das bedeuten mag?
Ailton Krenak: „Aber wer sagt denn, dass man nicht abstürzen soll? Wer sagt, das wir nicht längst abgestürzt sind? / Warum stört uns das Gefühl zu fallen? Wir haben doch in der letzten Zeit nichts anderes getan als zu fallen, zu zerschellen. Fallen, fallen, fallen. Warum stören wir uns jetzt so daran? Lasst uns doch all unser Urteilsvermögen und unsere Kreativität darauf verwenden, bunte Fallschirme zu bauen. Stellen wie uns den Weltraum nicht als einen begrenzten Ort vor, sondern als Kosmos, durch den wir mit bunten Fallschirmen stürzen“.
Der einzige Sinn der Geschichte: Untergang als Übergang zum Untergang.
and scrambled it to make a type specimen book.